Der Pflegenotstand in Deutschland ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre. Eine alternde Bevölkerung und die damit verbundene steigende Nachfrage nach Pflegeleistungen übersteigt das Angebot an Pflegekräften erheblich. Während immer mehr Menschen Pflege benötigen, finden Einrichtungen zunehmend schwer qualifiziertes Personal. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2030 auf jede aktive Pflegekraft eine unbesetzte Stelle kommt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen des Pflegenotstands, die relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen und mögliche Lösungsansätze.
Was versteht man unter Pflegenotstand?
Der Begriff „Pflegenotstand“ beschreibt eine kritische Personallücke in der Pflegebranche, vor allem in der Alten- und Krankenpflege. Wesentliche Merkmale des Pflegenotstands sind der akute Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal und die damit verbundenen Schwierigkeiten, eine adäquate Versorgung für pflegebedürftige Menschen sicherzustellen. Die Corona-Pandemie hat die Situation nochmals verschärft und das Problem in den öffentlichen Fokus gerückt.
Ursachen des Pflegenotstands
1. Der demografische Wandel und die Alterung der Bevölkerung
Der demografische Wandel ist eine zentrale Ursache für den Pflegenotstand. Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, was bedeutet, dass mehr Menschen pflegebedürftig werden. Gleichzeitig treten viele Pflegekräfte selbst in das Rentenalter ein. Laut Statistiken sind nur etwa 25 % der Pflegekräfte unter 35 Jahre alt, während rund 40 % über 50 Jahre alt sind. Der Deutsche Pflegerat rechnet damit, dass in den kommenden zehn Jahren etwa 40 % der derzeitigen Pflegekräfte in den Ruhestand gehen.
2. Belastende Arbeitsbedingungen und geringe Entlohnung
Pflegekräfte sind oft enormem psychischen und physischen Stress ausgesetzt. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind in vielen Fällen herausfordernd: lange Schichten, hohe Arbeitsintensität und oft mangelnde Wertschätzung durch die Gesellschaft. Durch die Personalengpässe wird die Belastung für das verbleibende Pflegepersonal weiter erhöht, was häufig zu Frustration und gesundheitlichen Problemen führt. Pflegekräfte verdienen in Deutschland zudem deutlich weniger als in anderen systemrelevanten Berufen, wodurch die Anreize für junge Menschen, den Beruf zu ergreifen, gering sind.
3. Abhängigkeit von Leasingkräften
Viele Pflegeeinrichtungen setzen mittlerweile auf Leasingkräfte, um die Lücken zu füllen. Leasingkräfte können für kurzfristige Einsätze wertvoll sein, verursachen jedoch zusätzliche Kosten und verschärfen das Gefühl der Ungleichbehandlung bei den festangestellten Pflegekräften. Da Leasingkräfte in der Regel höhere Löhne erhalten und häufig bessere Arbeitszeiten haben, führt dies bei festangestellten Mitarbeitern oft zu Unmut.
Gesetzliche Grundlagen zur Bekämpfung des Pflegenotstands
Die Pflegebranche in Deutschland ist stark reglementiert. Zahlreiche gesetzliche Maßnahmen und Initiativen wurden eingeführt, um den Personalmangel zu lindern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
1. Pflegeberufegesetz (PflBG)
Seit 2020 ist das Pflegeberufegesetz (PflBG) in Kraft, das die Ausbildung in den Pflegeberufen grundlegend reformiert hat. Das Gesetz führt eine generalistische Ausbildung ein, die die Berufe der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Kinderkrankenpflege zu einem Beruf zusammenführt. Ziel des Pflegeberufegesetzes ist es, die Pflegeausbildung attraktiver zu machen und die Wechselmöglichkeiten innerhalb der verschiedenen Pflegebereiche zu erleichtern. Zudem können Pflegekräfte mit einer generalistischen Ausbildung besser in verschiedenen Einsatzfeldern arbeiten, was Flexibilität schafft.
2. Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG)
Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) aus dem Jahr 2019 hat zum Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und die Anzahl der Pflegekräfte zu erhöhen. Das Gesetz fördert unter anderem den Ausbau der Kurzzeitpflege und die Entlastung von Pflegekräften durch die Förderung zusätzlicher Stellen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Krankenhäuser und Pflegeheime erhalten finanzielle Mittel zur Schaffung neuer Stellen und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um die Personalnot zu lindern.
3. Konzertierte Aktion Pflege (KAP)
Die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) ist eine 2019 gestartete Initiative der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren aus der Gesundheitsbranche. Sie verfolgt fünf Handlungsfelder: bessere Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, höhere Erwerbsbeteiligung, Verlängerung der Arbeitszeiten durch die Schaffung von Vollzeitstellen, gezielte Weiterbildung und die gezielte Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland. Die KAP hat das Ziel, bis 2023 die Anzahl der Pflegeauszubildenden um 10 % zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen in der Pflege nachhaltig zu verbessern.
4. Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV)
Mit der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) wurden seit 2019 Mindestpersonalvorgaben für Krankenhäuser eingeführt. Diese Verordnung regelt, wie viele Pflegekräfte pro Patient in bestimmten Bereichen vorhanden sein müssen. Ziel ist es, die Pflegequalität zu verbessern und die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte zu senken. Die Personaluntergrenzen wurden zunächst in besonders belasteten Bereichen wie Intensivstationen und Geriatrie eingeführt und werden schrittweise auf weitere Abteilungen ausgeweitet.
Lösungsansätze zur Bekämpfung des Pflegenotstands
1. Gezielte Zuwanderung von Pflegekräften
Deutschland setzt verstärkt auf die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Die Bundesregierung hat spezielle Programme ins Leben gerufen, die die Anerkennung von ausländischen Pflegeabschlüssen beschleunigen und die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Diese Programme konzentrieren sich vor allem auf Pflegekräfte aus Drittstaaten wie den Philippinen und Mexiko, wo das Potenzial an ausgebildetem Pflegepersonal größer ist.
2. Digitalisierung und Technikeinsatz in der Pflege
Technologie kann in der Pflege eine wichtige Rolle spielen, um Personalengpässe abzufedern. Digitale Tools und Pflegeroboter können administrative Aufgaben oder einfache Tätigkeiten übernehmen, wodurch Pflegekräfte mehr Zeit für die direkte Betreuung der Patienten haben. Erste Pilotprojekte zeigen, dass der Einsatz von Technologie die Arbeitsbelastung reduzieren und die Effizienz steigern kann. Schätzungen zufolge könnte die Digitalisierung bis 2030 die Nachfrage nach Pflegekräften um 10–15 % verringern.
3. Förderung flexibler Arbeitszeitmodelle
Flexible Arbeitszeiten und der Einsatz von „Remote-Pflege“ könnten helfen, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Einige Pflegeeinrichtungen experimentieren bereits mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, die den Pflegekräften eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen. Durch digitale Lösungen könnten auch Beratung und einfache Pflegegespräche aus der Ferne durchgeführt werden, was den Druck auf das Pflegepersonal senken könnte.
4. Höhere Ausbildungs- und Karrierechancen
Das Pflegeberufegesetz und die Akademisierung der Pflegeberufe eröffnen neue Karrierechancen für Pflegekräfte. Die Einführung einer generalistischen Ausbildung und neuer Studiengänge macht den Beruf attraktiver und schafft Anreize für eine langfristige Karriere in der Pflege. Durch bessere Weiterbildungsmöglichkeiten könnten Pflegehilfskräfte zur Fachkraft aufsteigen und so den Arbeitsdruck auf die bereits examinierten Pflegekräfte reduzieren.
Fazit
Der Pflegenotstand ist ein drängendes Problem, das nur durch umfassende Maßnahmen gelöst werden kann. Die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland – vom Pflegeberufegesetz bis zur Konzertierten Aktion Pflege – setzen bereits wichtige Akzente zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Erhöhung der Fachkräfte. Eine nachhaltige Lösung des Pflegenotstands wird jedoch nur gelingen, wenn diese Maßnahmen kontinuierlich weiterentwickelt und ergänzt werden. Auch die Wertschätzung und gesellschaftliche Anerkennung der Pflegeberufe muss sich verbessern, um die Pflegebranche langfristig zu stärken.